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Tobias Buche
Zeitgleich zur Ausstellung Claire Barclay in der Villa Salve Hospes fügte der Berliner Künstler Tobias Buche (geb. 1978) im Obergeschoss auf Stellwänden und Paravents eine Fülle gefundenen Bildmaterials zu einer visuellen Kulturgeschichte unserer Zeit zusammen. Abbildungen aus Zeitungen, Magazinen oder Katalogen, Fotografien aus dem privaten Bereich, Plattencover oder Zeichnungen füllten die Stellwände, ohne einem linearen narrativen Faden zu folgen. Der Betrachter vollzog die assoziative Anordnung nach, indem er von Bild zu Bild sprang, dabei gelegentlich mit eigenen Erinnerungen anknüpfend, manchmal die Zusammenhänge mehr erahnend oder erfindend und immer wieder auch ohne die Möglichkeit einer Entschlüsselung. In seiner Konsequenz und dem Nebeneinander von Hoch- und Massenkultur stand Buches Vorgehen in der Tradition eines Mnemosyne-Atlas von Aby Warburg.
Die Möglichkeit zu immer neuen Konstellationen ist seinen Bildzusammenstellungen immanent und wird demonstrativ vorgeführt – erkennbar an den Löchern, die die Nadeln als Spuren häufigen Anbringens und Wiederabnehmens auf dem Papier hinterlassen. Um eine vorgegebene Sicht auf das visuelle Material zu vermeiden, sucht Buche darüber hinaus eine Gleichwertigkeit der verschiedenen Quellen zu erreichen und bedient sich unterschiedlicher Techniken der Einebnung. So nutzt er etwa eine weitgehend einheitliche Farbigkeit in Schwarzweiß. Auch in Fragen der Qualität gleicht er an, indem er die der einen Aufnahme digital anhebt, die einer anderen verschlechtert oder Kontraste und Farbwerte verändert. Bilder, die in der kollektiven Erinnerung verankert sind, werden erst nach einer gewissen zeitlichen Distanz in seinen Fundus aufgenommen, um sie wieder offen werden zu lassen für neue Bedeutungen. Um diesen Effekt zu verstärken, dekontextualisiert Buche die Aufnahmen zusätzlich, indem er sie beschneidet oder ein scheinbar unbedeutendes Detail herauslöst. Im Ergebnis heißt dies: Die private Fotografie, das Zeitungsbild einer politischen Demonstration, das Cover einer Lieblingsplatte, die Reproduktion eines Kunstwerkes, das Portrait eines Hollywood-Schauspielers, der Ausschnitt eines politischen oder gesellschaftlichen Ereignisses – nichts ist in seiner Herkunft mehr eindeutig zu bestimmen. Alles hat denselben Stellenwert.
Die Stellwände, auf denen sich die visuellen Ansammlungen ausbreiten, sind bei aller skulpturalen Ausstrahlung vor allem und zu allererst neutrale Bildträger, die sich selbst zurück-nehmen. Darüber hinaus ermöglichen sie dem Künstler, seine Bildgeschichten weitgehend ohne Rücksichtnahme auf die jeweilige räumliche Situation zu entwickeln, indem sie ihn unabhängig von den vorgegebenen Wänden des Ausstellungsraumes machen. Gleichzeitig gibt ihre Aufstellung eine ungefähre Leserichtung der auf ihnen befestigten Bilderfolgen vor.
Neben seinen Bildakkumulationen auf Paravents und Stellwänden zeigte Buche in Braunschweig erstmals zwei neue Zeichnungsserien: Einkaufs- und Bibliothekszettel, auf denen Rußspuren und Verbrennungen seltsam symmetrische Muster ergeben, sowie Schleifpapiere, auf denen Knickungen und Abreibungen zu geheimnisvoll-romantisierenden Darstellungen führen. Beide hinterfragen herkömmliche Vorstellungen des schöpferischen Herstellungsprozesses, indem sie durch den vom Künstler kontrollierten Zufall und durch Abnutzung oder gar Zerstörung von banalen Alltagsgegenständen entstehen.
Buches Arbeit war bereits in nationalen und internationalen Galerie- und Gruppenausstellungen zu sehen, wie etwa der letzten Berlin Biennale. Die Präsentation im Kunstverein Braunschweig war seine erste institutionelle Einzelausstellung und wurde von einer Katalogpublikation mit einem erläuternden Text und einem Gespräch mit Janneke de Vries begleitet – der ersten zum Schaffen von Tobias Buche überhaupt.
Die Ausstellung wurde gefördert von der Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz.