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Heimo Zobernig
Heimo Zobernig, 1958 in Mauthen bei Kärnten geboren, arbeitet in vielfältigen Medien. Er setzte in den frühen 80er Jahren bei den nach der Moderne verbliebenen Möglichkeiten der geometrischen Abstraktion an. Zwischen Autonomie und Funktionalität fächern seine Arbeiten die zeitgenössischen Bedingungen der Produktion und Rezeption von Kunst auf. In den 80er Jahren forderten die Verspieltheiten postmoderner Architektur und die opulente Malerei der „Neuen Wilden“ eine jüngere Generation geradezu zu Reduktion und Versachlichung heraus. Dem Hunger nach mythenschwangeren Bildern steht bei Zobernig eine, wie er selbst sagt, „ziemlich nüchterne, transzendenzlose Sicht auf die Welt“ entgegen. Allein die bevorzugten Materialien, wie unter anderem Pappe, Sperrholz oder Styropor vermitteln, dass es nicht um ewige Werte geht. Auch werden von der Kunst keine Antworten auf große metaphysische Fragen erwartet. Mit Zobernig zeigt sich vielmehr, dass Kunst vor allem anderen durch Zuweisungen und im Zusammenhang gesellschaftlich-funktionaler Bestimmungen definiert wird. Kunst ist wie Sprache ein Kommunikationssystem.
Klarheit, Funktionalität und Pragmatismus kennzeichnen Zobernigs Ansatz, der sich produktiv mit den entsprechenden Traditionen im 20. Jahrhundert auseinandersetzt: Mit den „russischen Konstruktivisten“, der niederländischen „De Stijl-Bewegung“, oder den „Züricher Konkreten“. Es ist ein Anknüpfen an historische Kunstrichtungen, die eine abstrakte Formensprache entwickelt und sich weitgehend von Kunst als esoterischer, transzendenter, metaphysischer Überbaukonstruktion distanziert haben. Zobernig greift die liegengebliebenen Stränge der historischen Avantgarde wieder auf und überträgt deren ganzheitlich-gesellschaftlichen Ansatz auf das gegenwärtige kulturelle Feld. So zeigt sich in der häufig lapidar und karg wirkenden Formensprache von Zobernigs Kunst eine enge Verbundenheit mit anderen Bereichen der zeitgenössischen Kultur: mit Musik (von Punk und New Wave bis zu den Elektronikexperimenten der Wiener Szene), Theater (Zobernig begann seine künstlerische Laufbahn am Theater) sowie mit Dichtung und Design.
Auf den ersten Blick hat Zobernigs reduzierte Formensprache viel mit der amerikanischen Minimal Art gemeinsam. Einfache Kuben, Quader und Stelen erinnern an die Sachlichkeit minimalistischer Werke der 60er Jahre, an Objekte, die keine weitere Bedeutung haben und nur auf sich selbst verweisen. Programmatisch hat die Minimal Art auf jegliche Titelgebung verzichtet, und diese Praxis greift Zobernig auf. Alle seine Arbeiten tragen die Bezeichnung „Ohne Titel“. Die Frage nach der Bedeutung eines Kunstobjektes wird damit offen gelassen, beziehungsweise an den Betrachter verwiesen. Ist ein Sockel ein Gebrauchsgegenstand oder eine minimalistische Skulptur? Anders als die Minimal Art nimmt Zobernig keine Setzungen vor, sondern stellt Fragen. Diese zielen auf die Einsicht ab, dass Kunst vor allem durch Zuweisungen und im Zusammenhang gesellschaftlicher, funktionaler Bestimmungen definiert wird.
Im Zuge der zu Beginn der 90er Jahre zunehmenden Betonung der sozialen Funktion von Kunst stattete Zobernig mehrfach Kommunikationsräume in Kunstinstitutionen aus. 1997 gestaltete er für die documenta X in Kassel die für Vorträge und Diskussionen vorgesehene Halle. Das im Rahmen der documenta X virulente Schlagwort „Kunst als Dienstleistung“ wird auch auf Zobernig angewandt. Dabei zeigt er sich bei seinen Ausstellungsarbeiten vielmehr als Meister des Weglassens, der mit kritischem Seitenblick auf die gängige Überstilisierung durch Designbüros klare, funktionale Räume schafft.
Heimo Zobernig zeigte in seiner Ausstellung im Kunstverein Braunschweig neue Arbeiten mit Eingriffen in situ, welche die spezifischen räumlichen Bedingungen des klassizistischen Hauses Salve Hospes thematisierten und veränderten. Im Zentrum der Ausstellung stand eine Serie von neuen Bildern, deren wiederkehrendes Raster in verschiedenen Techniken aufgetragen ist. Sie beziehen sich auf die Arbeiten Composition with Grid 3 und Composition with Grid 4 von Piet Mondrian aus den Jahren 1918 und 1919 sowie auf deren Neuinterpretation durch den australischen Künstler Ian Burn in den 60er Jahren. Eine ähnliche Hinterfragung der monochromen Malerei unternahm Zobernig in einer weiteren Serie, in welcher Tausende kleiner Swarovski-Steine auf Leinwände aufgeklebt wurden und kristallartig glitzernde Bildoberflächen bilden. Eine riesige blaue Stoffschlange füllt einen der Konchenräume derart aus, dass der Besucher diesen Raum nur mit Mühe betreten und durchqueren kann. Auf zwei Monitoren ringt der nackte Künstler mit einer schwarzen Lockenperücke mit dieser Stoffanakonda in einem Raum mit videorotem Hintergrund. Das Rot ist in der Technik des „Chromakeying“ ausgeblendet und durch die Farbe Blau ersetzt. Durch dieses Verfahren verliert auch die Haut sämtliche Rottöne und erscheint dadurch wie die glatte weißgraublaue Oberfläche einer klassizistischen Skulptur. Im sich an diesen Raum anschließenden historischen roten Saal zeigte Heimo Zobernig in einer wandfüllenden Projektion sein neustes Video, Nr. 23, 2005. Das Video beginnt mit einem All-Over-Video-Blau. In dieses schiebt Heimo Zobernig einen Videomonitor, der die ablaufende Szene wiederholt. Zobernig beginnt nun mit dem geräuschvollen Hantieren und Aufstellen von diversen, widerspenstigen Projektionsrollos, deren Screens im Laufe der Zeit nahezu den ganzen Bildausschnitt ausfüllen. Jedes Rollo, das er aufzieht, gibt mittels Chromakey-Technik den Blick auf das Atelierfenster mit Aussicht in die grüne Natur frei. Nach dem Aufstellen des letzten Rollos zoomt die Kamera auf den Monitor, bis das Video-Blau das gesamte Bild füllt und der Loop von neuem beginnt.
In den Räumen des Obergeschosses traf der Besucher auf ca. 30 goldlackierte Variationen des 1952 von Arne Jacobsen entworfenen Stuhls Ameise. Das in der intensiven isolierten Konfrontation mit einem bestimmten Farbwert bestehende Prinzip der Monochromie überträgt Zobernig in dieser Installation auf den Objekt-Bereich, indem er die Sitzschalen aus Sperrholz mit der sehr speziellen und vielfältig konnotierten Farbe Gold streicht.
Zobernigs Befragung und Kritik des Vorgefundenen steht exemplarisch für die konzeptuelle Ausrichtung des Kunstvereins Braunschweig. Die ausgestellten Arbeiten thematisieren wesentliche Fragestellungen Zobernigs und geben somit einen Einblick in das Werk des österreichischen Künstlers.
Zur Ausstellung ist ein Katalog mit Texten in deutscher und englischer Sprache von David Pestorius, Vitus H. Weh, eine E-Mail-Korrespondenz mit Arden Reed und einem umfassenden Abbildungsteil, der die ortsbezogenen Installationen dokumentiert, erschienen.
Unser Dank gilt dem Hauptförderer Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz.
Ebenfalls danken wir dem Bundeskanzleramt Wien, Veolia Environnement, der Stadt Braunschweig, dem Land Niedersachsen und dem Hofbrauhaus Wolters.